Herausgebende:
Herr Dr. Wolfgang Amann, FH-Doz., geschäftsführender Gesellschafter des IIBW – Institut für Immobilien Bauen und Wohnen GmbH kennt die Dimensionen und Rahmenbedingungen von Energiearmut.
Wie lässt sich Energiearmut definieren?
Bisher gibt es keine allgemeingültige bzw. europarechtliche Definition von Energiearmut.
Untersuchungen zu Energiearmut in Österreich (Statistik Austria, 2019) definieren Haushalte als energiearmutsbetroffen, wenn sie ein unterdurchschnittliches Haushaltseinkommen von weniger als 60 % des Medianwerts und gleichzeitig überdurchschnittliche Energiekosten von mehr als 140 % des Medianwerts aufweisen. Nach dieser Definition sind für das Jahr 2018 3,2 % der Haushalte als energiearm ausgewiesen. Ihre Energiekosten liegen bei einem Anteil von rund 20% des verfügbaren Einkommens, verglichen mit einem Anteil von nur 4,2 % in der Gesamtbevölkerung (NEKP, 2019)
Lässt sich Energiearmut an zu hohen Energiekostenrechnungen von Haushalten mit geringem Einkommen ablesen?
Ja, es gibt unterschiedliche Ausprägungen, aber es hat immer mit Armut zu tun. Einkommensarmut ist immer eine Bedingung um Haushalte als energiearm zu klassifizieren. Bei einkommensarmen Menschen gibt es unterschiedliche Ausprägungen, es gibt Menschen, die einen überproportional hohen Anteil Ihres Einkommens für Energie ausgeben müssen, ABER auch Menschen, die eigentlich sehr geringe Energiekosten haben, weil Sie sich das Heizen nicht leisten können oder wollen. Auch die müssen als energiearm aufgefasst werden.
Und Wie viele Menschen sind in Österreich von Energiearmut betroffen?
Die in Diskussion befindlichen Definitionen sind nicht unproblematisch. Die Bandbreite an Ergebnissen ist sehr groß. Am vielversprechendsten ist ein neuer Ansatz der Statistik Austria, die Armutsgefährdung und 4 in EU-SILC erhobene Indikatoren kombiniert. Diese sind einerseits objektive Indikatoren, wie überdurchschnittlich hohe (>140% d. Medians) oder unterdurchschnittliche Energiekosten (<4% am Haushaltseinkommen) und anderseits zwei subjektive Indikatoren: Wohnräume können nicht angemessen warmgehalten werden oder Zahlungsrückstände bei Wohnnebenkosten (Strom oder Heizung).
Wenn man eine der vier Indikatoren berücksichtigt, kommt man auf ca. 8 Prozent der Haushalte, die als energiearm einzustufen sind. Wenn allerdings zwei der Indikatoren zutreffen sollen, um Energiearmut zu beschreiben, sind weniger als 1% der Bevölkerung betroffen. Die Prozentsätze sind ist also stark definitionsabhängig!
Gibt es Personengruppen die vermehrt von Energiearmut betroffen sind?
Ja natürlich, wie schon bei der Definition angesprochen, sind es natürlich die armutsgefährdeten Haushalte. Laut Definition und Daten aus EU-SILC 2020 beträgt die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle (60% des Median-Einkommens) € 1.328 monatlich für einen Ein Personen-Haushalt. Der Wert erhöht sich um den Faktor 0,5 pro weitere erwachsene Person im Haushalt und um den Faktor 0,3 pro Kind (unter 14 Jahre) im Haushalt.
Gibt es charakteristische Lebensumstände für betroffene Menschen, die hervorstechen?
Ja, ein armutsgefährdeter Haushalt in einem Eigenheim in schlechtem thermischem Zustand ist sicher ein charakteristischer Fall. Dort ist es aber häufig so, dass sich Energiearmut äußert, indem nur einzelne Räume beheizt werden oder dass nicht auf eine komfortable Temperatur geheizt wird. Dort sind es weniger die überdurchschnittlichen als die unterdurchschnittlichen Energiekosten, die Energiearmut charakterisieren.
Ein anderes Fallbeispiel ist ein einkommensarmer Haushalt, der in einer Wohnung mit Fernwärme lebt. Fernwärme ist relativ teuer, und daher kann es auch passieren, dass ein überproportionaler Anteil des Einkommens für die Heizkosten anfallen. In diesem Fall sind es jetzt eher überdurchschnittliche Energiekosten. Das liegt daran, dass bei der Fernwärme, selbst wenn man die Heizung abdreht, hohe Kosten anfallen, da die Grundgebühr einen großen Teil der Kosten ausmacht.
Gibt es wohnrechtliche Rahmenbedingungen, in denen energiearmutsbetroffene Haushalte typisch angetroffen werden?
Armutsgefährdete Haushalte wohnen in allen Bestandssegmenten. Überproportional viele leben in privaten Mietwohnungen und Kommunalwohnungen, aber auch in Eigentumswohnungen und Eigenheimen gibt es viele armutsgefährdete Haushalte. Die mietrechtlichen Aspekte sind besonders brisant, bzw. bedürfen einer Reform, weil wir Rahmenbedingungen schaffen wollen, diese Häuser zu decarbonisieren, ohne dass die Situation energiearmer Haushalte verschlechtert wird. Dazu brauchen wir geänderte wohnrechtliche Rahmenbedingungen, aber auch zusätzliche subjektbezogene Förderungen.
Welche Faktoren fördern Ihrer Meinung nach das Auftreten von Energiearmut und wie können wir Abhilfe schaffen?
Es ist eine Grundproblematik unseres Projekts, dass die Decarbonisierung eines Hauses die Kostensituation der Haushalte in vielen Fällen nicht wirklich verbessert. Sicher ist, dass der Energiebedarf der Häuser geringer wird, aber ob die Kosten für die einzelnen Haushalte dadurch geringer werden, ist keineswegs gesichert. Zum einen muss die Sanierung finanziert werden und zum zweiten gibt es Rebound-Effekte!
Wenn ein einkommensarmer Haushalt früher mit einer Öleinzelofenheizung einen Raum auf 18 Grad geheizt haben, hat er sicher weniger ausgegeben, als wenn er nach einer Sanierung eine Zentralheizung hat und die gesamte Wohnung heizt, vielleicht auf z.B. 20 Grad. Das sind die Rebound-Effekte.
Ein dritter Aspekt ist, dass die bevorzugte Heizungsart bei der Decarbonisierung die Fernwärme ist und die Fernwärme relativ teuer ist.
Die Decarbonisierung der Häuser ist nur ein Aspekt zur Linderung von Energiearmut. Zusätzlich braucht es maßgeschneiderte Subjektförderungen. Wichtig ist weiters, betroffene Haushalte in die Beratung zu bringen, um ihnen bei Haushaltsgeräten und Fragen des Lebensstils helfen zu können.
Das heißt die finanziellen Energieeinsparungen von energiearmutsbetroffenen Personen rechnen sich oft nicht mit der Sanierung gegen, weil sie eventuell zuvor besser mit den Energiekosten haushalten konnten?
Es wird sicher viele Fälle geben, wo genau das passiert: ein Haus wird saniert und decarbonisiert und der betroffene Haushalt wird danach keine niedrigeren Energiekosten haben. Der Normalfall bleibt aber natürlich, dass thermische Sanierungen zu sinkenden Energiekosten führen.
Für diese betroffenen Haushalte müsste es dann auch spezielle Unterstützungen geben?
Ja, Subjektförderung sind essenziell. Neben den finanziellen Aspekten der Decarbonisierung darf man aber auch andere Aspekte nicht aus den Augen verlieren. Sie bewirkt auch eine Verbesserung der Lebensqualität der Menschen. Umfassende Sanierungen führen meist auch zu gesünderen Innenräumen.
Eine Decarbonisierung fördert somit die Wohnqualität aller Bewohner, auch die von Energiearmut betroffenen Haushalten.
Vielen Dank Herr Amann für Ihre Einschätzungen!