In der Literatur sind unterschiedliche Ansätze zur Erhebung von Abwärmepotentialen beschrieben, die in Top-Down bzw. Bottom-Up Methoden unterteilt werden können. Abbildung 1 zeigt eine Einteilung der beiden Ansätze inklusive unterschiedlicher Methoden und Datenquellen.
Als gut geeignete Methode zur Erhebung von Abwärmepotentialen in der Industrie konnte ein grundlegender Bottom-Up Ansatz, ergänzt um Top-Down Analysen, identifiziert werden. Ausgehend von Kenntnissen zu den relevanten Prozessen in den jeweiligen Branchen und Informationen zu Emissionen oder Produktionsmengen, können der Energieträgereinsatz sowie die Abwärmemengen und -temperaturen bestimmt werden. Durch eine zusätzliche direkte Erhebung mittels Fragebögen können einerseits bereits ermittelte Potentiale validiert werden und andererseits Informationen zur zeitlichen Verfügbarkeit der Abwärme gesammelt werden.
Für die restlichen Unternehmen, die mit dem Bottom-Up Ansatz nicht erreicht werden können, bietet eine statistische Top-Down Analyse eine passende Möglichkeit. Unter Verwendung einer entsprechenden Metrik und Proxy-Daten (z.B. branchenspezifische Energieeinsätze pro Mitarbeitenden, typische Temperaturniveaus, etc.) können die Abwärmepotentiale aus statistischen Strukturdaten abgeschätzt werden. Durch die Kombination und mögliche gegenseitige Validierung (Plausibilitätschecks) der Methoden kann eine hohe Datenqualität erreicht werden.
Sämtliche analysierten Studien sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Neben dem Umfang, der angewandten Methode und der Art des erhobenen Potentials wurden die Projekte einer Klassifizierung bezüglich räumlicher, zeitlicher und Temperaturauflösung unterzogen. Die Klassifizierung basiert auf folgender Einteilung:
Räumlich
· Niedrig – Potentiale auf nationaler Ebene bzw. für gesamte Branchen
· Mittel – Potentiale in höherer Auflösung als nationaler Ebene (z.B. Gemeindeebene)
· Hoch – Potentiale von einzelnen Unternehmensstandorten
Zeitlich
· Niedrig – Jährliches Abwärmepotential
· Mittel – Saisonale Verteilung des Abwärmepotentials bzw. Verfügbarkeit der Quelle in Stunden pro Jahr
· Hoch – Saisonale und betriebswöchentliche Verfügbarkeit der Abwärmequelle
Temperatur
· Niedrig – Temperatur wird in Erhebung berücksichtigt
· Mittel – Klassifizierung nach Temperaturniveaus vorhanden
· Hoch – Klassifizierung der Temperaturniveaus mindestens in Nieder-, Mittel- und Hochtemperatur
Die Sammlung zeigt, dass die räumliche Verortung und auch die Temperaturauflösung in vielen Erhebungen bereits hinreichend hoch ist. Größtenteils stellen die erhobenen Potentiale jedoch nur eine jährliche Energiemenge dar, tägliche / betriebswöchentliche / saisonale Schwankungen wurden nur in einzelnen Studien betrachtet. Der Faktor der zeitlichen Verfügbarkeit ist für die Umsetzung der Abwärmenutzung jedoch essenziell. Falls die Abwärme größtenteils im Sommer anfällt, wenn der Wärmebedarf des Wärmeabnehmers gering ist, kann von dem ermittelten Potential eventuell nur ein kleiner Teil genutzt werden.
Eine weitere sinnvolle Klassifizierungsart, die im Rahmen dieser Analyse jedoch nicht berücksichtigt wurde, ist die Einteilung der Abwärme nach Trägermedium (z.B. Rauchgas, Ab-/Kühlwässer, Dämpfe oder Abluft). Durch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Medien kann eine universelle Erhebung der Potentiale durchgeführt werden. Zusätzlich ermöglicht die Unterteilung die bessere Beurteilung eines wirtschaftlich nutzbaren Potentials, da die Extraktion von Abwärme, abhängig von den jeweiligen Trägermedien, unterschiedliche technische Lösungen benötigt
Ein wichtiger Aspekt, der in keinem der betrachteten Projekte adressiert wurde, ist die Abschätzung der zukünftigen Verfügbarkeit der Abwärmepotentiale. Bedingt durch die angestrebte Dekarbonisierung des gesamten Energiesystems werden Prozessumstellungen, insbesondere in der energieintensiven Industrie, notwendig werden. Damit einhergehend ist eine starke Veränderung des Abwärmepotentials wahrscheinlich (Susanne Stark et al., 2020).
Um die langfristige Nutzung der Abwärme zu ermöglichen, muss der Fokus daher, neben der Erhebung von bestehenden Potentialen, auch auf die Verfügbarkeit in 10, 20 oder 30 Jahren gerichtet werden. Da die externe Nutzung von Abwärme mit erheblichen Investitionen in die nötige Infrastruktur verbunden ist, macht eine solche Investition nur mit der nötigen Planungssicherheit für die nächsten Jahre Sinn.