15. Oktober 2022

RESIST – Resilienz in Stadtregionen: Projektabschluss

Im Fokus stand die adaptive Kapazität kritischer Infrastruktursysteme gegenüber den Herausforderungen des Klimawandels sowie COVID-19. Festgemacht wurde dies an der Betrachtung der zentralen Komponenten Vulnerabilität und Anpassungsfähigkeit. Auf Basis der Erfahrungen und Erwartungen von Expert:innen aus Praxis und Wissenschaft wurden Empfehlungen für die zukünftige inter- und transdisziplinäre Forschung und Forschungspolitik abgeleitet. Die Informationsgewinnung und Wissensgenerierung erfolgte über zwei Onlinebefragungen, einen digitalen Workshop mit Expert:innen aus österreichischen Stadtregionen, qualitative Interviews mit Forscher:innen, sowie einen transdisziplinären Fokusgruppenworkshop.

Zum Verständnis von Resilienz

Resilienz beschreibt im Allgemeinen die Fähigkeit von Systemen mit unerwarteten Störungen in geeigneter Weise umzugehen. Unter städtischer Resilienz ist die Fähigkeit eines Systems und all seiner konstituierenden sozial-ökologischen und sozio-technischen Subsysteme zu verstehen, nach unerwarteten Störungen wichtige Funktionen beizubehalten bzw. sich im Lauf der Zeit und über verschiedene Maßstäbe hinweg an neue Bedingungen anzupassen, oder sich mittel- bis langfristig vollständig zu transformieren. Zentrale Komponenten dieses Resilienzprozesses sind daher die Vulnerabilität und Anpassungsfähigkeit von Systemen.

Strategien und Interventionen zur Stärkung der Resilienz stehen dabei vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits herrscht Unsicherheit über die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Störungen und ihre Auswirkungen, was eine Vorbereitung auf derartige Eventualitäten schwierig gestaltet. Andererseits herrschen unterschiedliche Anforderungen in Bezug auf die Resilienz gegenüber kurzfristigen Schocks (z.B. durch Naturkatastrophen) und langfristigen Stressoren (z.B. Klimawandel, Migration).

Erfahrungen und Erwartungen zu Klimawandel, Pandemie und kritischer Infrastruktur aus der Sicht der stadtregionalen Praxis

Die Umfrage zeigt deutlich, wie bewusst Österreichs Städten und Gemeinden die erwartbaren Auswirkungen des Klimawandels sind. Der potentielle Impakt wird in Abhängigkeit von den jeweiligen geographischen Bedingungen und der unterschiedlichen Exposition konzise eingeschätzt. Allen gemein ist die Erwartung von starken Auswirkungen durch Hitzewellen, saisonale Veränderungen in den Niederschlägen und regionale Veränderungen der Frost-Tau-Zyklen. Daraus leitet sich eine klare Einschätzung gefährdeter Infrastruktursysteme ab: Grüne, Wasser- und Gebäudeinfrastruktursysteme werden als am meisten gefährdet angesehen. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Lebensqualität von sozial und wirtschaftlich benachteiligten Gruppen am stärksten beeinträchtigt und die soziale Polarisation daher weiter steigen wird.

Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz gegenüber dem Klimawandel konzentrieren sich bislang auf strategische Aktivitäten und professionelle Managementkonzepte. Partizipative und ko-kreative Prozesse spielen kaum eine Rolle. Städte und Gemeinden sehen aufgrund der Vulnerabilität dringenden Bedarf an neuen Strategien, insbesondere für Energie-, Gebäude- und grüne Infrastruktursysteme, sowie Verbesserungsbedarf in der Governance dieser drei. Als wichtigste Anpassungsprozesse werden die Kooperation von Expert:innen und von Managementsystemen (Notfälle) unter Verwendung von Monitorings erachtet. Neuen Technologien und neuem Wissen wird große Bedeutung beigemessen.

In der COVID-19-Krise entsprach das Leistungsvermögen vorhandener Gesundheitsinfrastrukturen den kurzfristigen Anforderungen besser als soziale Infrastruktursysteme. Zur Steigerung der Anpassungsfähigkeit wurden neben technischer Innovation vor allem Notfallpläne für robuste und lernbasierte Prozesse sowie die Zusammenarbeit zur Stärkung der Redundanz gefordert.

Ganz allgemein wird Smart City Technologien hohe Bedeutung zur besseren Verfügbarkeit von Infrastrukturleistungen beigemessen, insbesondere für die Zusammenarbeit von Städten und Regionen und für Managementpläne in Notfallsituationen.

Aus der Sicht der Forschung

Forscher:innen schätzen grüne, Wasser- und Energieinfrastrukturen als besonders vulnerabel ein. Infolge der COVID-19-Pandemie erachten sie sowohl die Gesundheits-, als auch die soziale Infrastruktur als sehr vulnerabel. Im Vergleich wird dem Klimawandel aber deutlich mehr Gefahrenpotential in Bezug auf städtische Infrastruktursysteme beigemessen als der Pandemie oder ähnlichen Schockereignissen. Die Anpassungsfähigkeit von Notfall- und Kommunikationsinfrastrukturen wird als sehr gut, jene von Gesundheitsinfrastrukturen hingegen als träge und damit eher schlecht eingeschätzt.

Forschungserfahrungen und -anforderungen

Forschungserfahrungen werden am häufigsten in der angewandten Forschung gewonnen. Dabei stehen eher präventive und weniger adaptive Maßnahmen in den Studien zur Bewältigung der Klimaauswirkungen im Vordergrund. In der Grundlagenforschung fokussieren die Themen im Sinne adaptiver sozialökologischer Resilienz auf das Verstehen von Systemzusammenhängen und die Stärkung des Verständnisses von Ökosystemleistungen.

Trans- und interdisziplinäre Ansätze werden in systemanalytischer Sicht zur Erforschung von Vulnerabilität und Anpassungsfähigkeit sowie entsprechender -kapazität ausdrücklich betont. Die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis wird jedoch als Herausforderung gesehen. Zur Verbesserung der Resilienz von Infrastruktursystemen bedarf es eines besseren Verständnisses bestehender Lücken. Dazu bedarf es neben angewandter Forschung mehr unabhängiger Grundlagenforschung, die unter freieren Projekt- und Forschungsbedingungen langfristig erfolgen kann.

Erhofft werden Forschungsthemen in den Bereichen prozessorientierter Forschung (z.B. bodenschonende Landwirtschaft), systemanalytischer Forschung (z.B. Flexibilität und Redundanzen von Systemen) und sozialwissenschaftlicher Forschung (z.B. Polarisierungen bedingt durch Vulnerabilitäten). Angewandte Forschung soll außerdem durch inter- und transdisziplinäre Forschungsansätze Kommunalverwaltungen, Praktiker:innen und Entscheidungsträger:innen auf verschiedenen Ebenen sowie Schlüsselorganisationen einbeziehen. Zentrale Charakteristika einer solchen zukünftigen Forschung sind Inklusion, überregionale Ansätze, sowie Kommunikation, Austausch und wechselseitiges Lernen. Auch die fehlende Beteiligung von Bürger:innen wird als eine Ursache für die fehlende Verbindung von Wissenschaft und Praxis gesehen.

Erwartungen und Anforderungen zu kritischen Infrastruktursystemen

Im Zuge eines Workshops mit Expert:innen aus Städten und Gemeinden in österreichischen Stadtregionen konnte eine Reihe von Defiziten zur Stärkung resilienter Entwicklung festgestellt werden. Diese sind als Anforderungen an zukünftige Forschung formuliert:

  • Forschung darf nicht in der Schublade landen
  • Forschung soll Verwaltung unterstützen/anstoßen, indem wissenschaftliche Arbeiten bereitgestellt und umsetzungsorientiert vermittelt werden
  • Komplexität zu reduzieren, ist Forschungsaufgabe, um eine bessere Überschaubarkeit und Kommunizierbarkeit zu erlangen
  • die Komplexität des Themas bedarf einer geeigneten, oft neuen regionalen Perspektive
  • Strategien und Ansätze zur resilienten Entwicklung sind bürgernahe und „mundgerecht“ zu präsentieren, um das Engagement der Bürger:innen leichter zu erlangen
  • Wissenschaft soll helfen, aus Verletzlichkeiten eine Chance zur Adaption zu machen
  • Wissen der Bürger:innen sollte frühzeitig miteinbezogen werden
  • Gleichzeitig wurde eine Reihe von Forschungsfragen zu folgenden Inhalten formuliert:
  • geeignete kollaborative Ansätze und Kommunikationsformen, um Anpassungsprozesse effektiv zu realisieren
  • zukünftige Anforderungen für gut funktionierende IS-Netze (Netzstabilität, Robustheit, etc.)
  • gesellschaftliches Bewusstsein schaffen, damit aus Trends der Achtlosigkeit und Entfremdung ein intensiver Prozess des kritischen Bewusstseins und des zivilen Engagements entsteht
  • eine Neukonzeption funktionaler Räume und Regionen, um Klimaresilienz und Klimaschutz unter Berücksichtigung von Kriterien der Vulnerabilität und Anpassungsfähigkeit zu stärken
  • geeignete Governancemodelle (horizontal, vertikal) sowie Good-Practice-Beispiele von Governance, die schon derzeit Informalität in Einklang mit rechtlichen Bestimmungen bringt
  • interdisziplinäres und transdisziplinäres Handeln auf regionaler Ebene in der Verwaltung
  • eine gesamtheitliche Betrachtung mittels eines „Framings“ im Sinne einer klaren Kontextualisierung oder mittels Nischenansätzen in einer Mehr-Ebenen-Perspektive
  • das Einbinden stark betroffener Gruppen in Lösungs- und Lernansätze zur Erhöhung von Akzeptanz für notwendige Anpassungsmaßnahmen
  • geeignete zentrale Akteur:innen als Opinion-Leader zur inhaltlichen Erarbeitung und für die Kommunikation von Entwicklungskonzepten

Aus den qualitativen Interviews mit Expert:innen aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen lassen sich folgende Erkenntnisse zur Forschung zusammenfassen:

  • Das Wissen über die Funktionsweisen und Unzulänglichkeiten bzw. Verletzlichkeiten verschiedener Infrastruktursysteme ist sehr weit entwickelt und ausgereift. Im Zentrum der Forschungsarbeit sollen daher künftig eher Ansätze zum besseren Verständnis und der Erhöhung der Anpassungsfähigkeit dieser Systeme stehen.
  • Grün-blaue Infrastrukturen werden nicht nur als besonders verletzlich erachtet, sondern auch als Schlüssel zur Erhöhung der Anpassungsfähigkeit an die Folgen des Klimawandels. Ein Fokus künftiger Forschung im Kontext resilienter Stadtregionen sollte daher auf die Entwicklung grün-blauer Infrastrukturen und die Erhöhung ihrer Ökosystemleistung abzielen.
  • Es herrschen deutliche Unterschiede hinsichtlich der von den Forscher:innen verwendeten Resilienzkonzepte für die Arbeit an Fragen der Infrastrukturentwicklung im Klimawandel. Einerseits wird Resilienz als Ableitung von Katastrophenschutz und Risikomanagement verstanden und in der Forschung entsprechend auf den Umgang mit Schocks wie Naturkatastrophen fokussiert. Andererseits wird der Blick auf Anpassungsmaßnahmen im Bereich städtischer grauer und grüner Infrastruktur gerichtet und auf den Umgang mit lang andauernden Krisen geblickt. Im Kontext der klimaresilienten Entwicklung werden beide Perspektiven auch in Hinkunft bedeutend sein.
  • Uneinigkeit herrscht hinsichtlich des geeigneten Governance-Ansatzes zur Erhöhung der Resilienz. Während einerseits verstärkt klare Top-down-Regelwerke auf nationalstaatlicher und internationaler Ebene gefordert werden, die das lokale Handeln im Sinne klimaresilienter Entwicklung rahmen, wird andererseits mehr Handlungsspielraum für den angepassten Umgang mit lokalspezifischen Herausforderungen eingefordert. Die Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen des jeweiligen Politikansatzes in der „Climate Governance“ erscheint daher ebenso wichtig wie die Beforschung der adaptiven Kapazität der Systeme selbst.
  • Schließlich wird unisono die effektivere Verbreitung von Forschungsergebnissen und Erkenntnissen gefordert: „Es ist wichtig, Forschungsergebnisse besser verfügbar zu machen    und intensiver an ihrer Verbreitung zu arbeiten.“ Ein Schwerpunkt auf die zielgerichtete Vermittlung von Klimaresilienz-Wissen erscheint daher zentral.

Empfehlungen zur Stärkung der resilienten stadtregionalen Entwicklung

Auf Basis eines Fokus-Workshops zum Thema „Ansätze für bessere Kooperation zwischen Infrastrukturverantwortlichen und Wissenschaft für mehr Resilienz“ konnten 8 Schätze in Sinne allgemeiner Anforderungen für die Forschung erarbeitet werden:

  • Schatz 1 zu Mindset und Sprache betont ein gemeinsames Verständnis von Resilienz;
  • Schatz 2 unterstreicht den inter- und transdisziplinären Charakter in der kollaborativen Strategiefindung;
  • Schatz 3 hebt die Notwendigkeit eines neuen Regionalisierungsansatzes hin  zur effektiveren adaptiven Resilienzsteuerung unter Verwendung zeitgemäßer inklusiver Wissensgenerierung hervor;
  • Schatz 4 empfiehlt ‚Stadtlabore‘ als neue Formate zur Stärkung offener Kooperation;
  • Schatz 5 betont die Augenhöhe in wertschätzenden Kooperationen zwischen Wissenschaft und Praxis von Beginn an;
  • Schatz 6 unterstreicht das Wissensmanagement zur dessen Generierung und Kommunikation;
  • Schatz 7 empfiehlt neue Förderregimes zur besseren Integration von Wissenschaft mit den anderen Sektoren Verwaltung/Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft/NGOs;
  • Schatz 8 betont moderne, aber leicht verständliche Kommunikationsformen zu entsprechenden Resilienzprojekten – differenziert nach deren Charakter Notfall, Prävention und Vulnerabilitätsrisiko oder Anpassungsfähigkeit.

Autor:innen:
TU Wien / SRF: Rudolf Giffinger, Antonija Bogadi, Johannes Suitner, Alexander Authried
PlanSinn.at: Wolfgang Gerlich, Johannes Brossmann

Dieses Projekt wurde aus Mitteln des Klima- und Energiefonds im Rahmen des Förderschwerpunktes Energy Transition 2050 gefördert und mit Unterstützung durch den Österreichischen Städtebund von Februar bis Juli 2021 durchgeführt.

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Endbericht